Hidden Champions

Andreas Stumpe

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Lesezeit ca. 17 Minuten

Wenn Du Liebe möchtest, darfst Du kein Geschäftsführer werden

Harte Entscheidungen treffen

Auch ein Hidden Champion braucht Rückendeckung. Andreas Stumpe bekommt diese in seiner Familie. Sich selbst bezeichnet der promovierte Chemiker und Geschäftsführer der Haug Chemie GmbH als absoluten Familienmenschen und sehr harmoniebedürftig. Doch die Familie hat lange unter seiner beruflichen Situation gelitten. Das begann, als das mittelständische Unternehmen, das er geführt hat, von einem großen Konzern übernommen wurde: „Was bei diesen großen Konzernen überhaupt keine Rolle spielt: der Mensch, der dahintersteht.“ Nachdem er sich lange gequält hatte, entschied er sich schließlich. Andreas reichte die Kündigung ein. Heute arbeitet er 350 Kilometer von seinem Zuhause entfernt bei Haug und sieht seine Familie nur am Wochenende. Dennoch ist er glücklich. Unter der Woche ist er ganz Geschäftsführer, am Wochenende Ehemann und Vater: „Die Familie hat einfach eine ganz andere Bedeutung wiedergewonnen. Ohne die Familie, ohne den Rückhalt dort könnte ich den Job hier nicht machen.“

Das nicht alle mit dieser Entscheidung glücklich sind, ist Andreas aber auch klar. Er weiß, dass viele seiner Mitarbeiter aus dem alten Unternehmen enttäuscht von seinem Weggang sind. Darum hat er die Entscheidung zu kündigen immer wieder aufgeschoben, doch irgendwann hat er erkannt, dass er sich um seine eigene Gesundheit kümmern muss. Dabei hat er sich auch an ein Wort seines alten Mentors erinnert: „Erwarte niemals Dank von Deinen Mitarbeitern.“ Dieser Mann ist ihm auch heute noch sehr präsent, denn von ihm hat der harmoniebedürftige Andreas auch gelernt, was es heißt, unpopuläre Entscheidungen zu fällen, die aber langfristig dem Unternehmen nutzen. Denn auch für diese Situationen hat ihm sein Mentor einen Rat mitgegeben: „Wenn Du Liebe möchtest, darfst Du kein Geschäftsführer werden.“ Doch Liebe bekommt Andreas genug, vielleicht nicht als Geschäftsführer, aber doch als Familienmensch.

Interview mit Andreas Stumpe

Johannes: Um als Unternehmen erfolgreich zu sein, reicht es manchmal aus, in einer Kategorie zu führen, zum Beispiel in der Produktqualität. Der Haug Chemie GmbH aber genügt das nicht. Sie schafft es, sich immer wieder von der Konkurrenz abzusetzen, zum Beispiel durch die Produktqualität, das Preis-Leistungs-Verhältnis und sogar der Partnerschaftlichkeit der Zusammenarbeit. Das bestätigt auch der Lieferanten Award 2020. Wie ist das möglich? Das erfahren wir jetzt, und zwar vom Geschäftsführer höchstpersönlich: Dr. Andreas Stumpe. Hi Andreas.

Andreas: Hallo, Johannes.

Johannes: Andreas, wieso bist Du hier?

Andreas: Ja, das ist eine spannende Vorgeschichte, wie man vielleicht an meiner Aussprache hört. Die Haug Chemie sitzt in Sinsheim. Meine Aussprache ist nicht die eines Badeners, man hört vielleicht eher etwas aus Nordrhein-Westfalen heraus. Ich komme aus Krefeld, pendle jede Woche 350 Kilometer hin und am Freitag wieder zurück zu meiner Familie. Das muss schon einen Hintergrund haben und der Hintergrund liegt in meinem beruflichen Werdegang. Ich war viele, viele Jahre Geschäftsführer eines kleinen Unternehmens in Mönchengladbach, habe mich dort sehr wohlgefühlt, konnte mir auch nie vorstellen, irgendwann mal meine Heimat zu verlassen. Das war nie in meiner Vorstellungskraft für mich. Nie im Bereich meiner Gedankenwelt auch nur vorhanden, meine Heimat, die ich so liebe, zu verlassen – auch nur für ein paar Tage. Ich durfte dieses kleine Unternehmen in Mönchengladbach wie mein eigenes führen. Ich hatte unglaubliche Freiheiten, die dann zwar schon im Zuge des Schwermetall-Daseins eingeschränkt worden sind, aber ich hatte immer noch Freiheiten, die man sich als Geschäftsführer nur erträumen kann. Mit jeder Übernahme, die dann stattfand, gab es neue Spielregeln. Je größer der Konzern, desto einengender sind dann die Spielregeln, desto mehr wird die Freiheit beschnitten. Und der wesentliche Teil meines Daseins war dann nicht mehr damit zu begründen, dass ich mein Geschäft führen durfte, sondern ich musste dann mir Dinge überlegen: Wie kannst Du diese dumme Idee des Konzerns jetzt wieder verhindern? Wie kannst Du da jetzt versuchen, Dein Unternehmen zu schützen, dass da jetzt nicht wieder irgendwas eingebracht wird, was einfach nicht auf das Unternehmen passt? Doch vor allen Dingen, was bei diesen großen Konzernen überhaupt keine Rolle spielt: der Mensch, der dahintersteht. Der war vollkommen nebensächlich. Den gab es auf einer Präsentation, den gab es auf einer tollen Marketing-Broschüre. Den gab es aber nicht in Realität. Und das ist das, was ich immer stärker zu spüren bekam. Ich hatte die Leute zum Denken angeregt, über Jahre die Mitarbeiter gefördert, dass sie Verantwortung übernehmen, auch über ihren Bereich hinaus, dass sie sich Gedanken machen: Wie kann ich meine Firma auch von meiner Position aus verbessern? Und dann kam ein Konzern mit festgelegten Strukturen, der sagt: „Also bitte, lieber Mitarbeiter, Du bist jetzt im Rechnungswesen und Du darfst nur innerhalb des Rechnungswesens von A bis B denken. C ist schon nicht mehr erwünscht, denn das übernehmen wir dann für Dich.“ Das auf ein Unternehmen zu übertragen bedeutet, dass man quasi die Seele eines solchen Unternehmens auslöscht. Ich konnte es schlicht und ergreifend nicht ertragen, zuzuschauen, wie meine Mitarbeiter, die ich Jahre aufs Denken, auf Selbstständigkeit programmiert hatte, wieder zurückgefahren worden sind.

Johannes: Als Du noch alleine Geschäftsführer warst, bevor das Unternehmen verkauft wurde, hast Du die Entscheidung getroffen und damit war’s dann gegessen und danach wurde Dir die Entscheidungsfreiheit komplett genommen?

Andreas: Ja, die Freiheiten, das war danach wie bei einem Tier, das man in den Käfig sperrt. Das heißt, das, was ich so geliebt habe, die freien Entscheidungen treffen zu dürfen, das wurde einem weggenommen. Es wurde einem sogar abgesprochen, diese frei treffen zu dürfen. Man muss sich dann in einen Konzern einfügen mit seinen Spielregeln. Das macht man dann entweder, indem man dann schlicht und ergreifend – in meinem Fall wäre es so gewesen – seine Seele aufgibt und aufhört, selbst zu denken und einfach nur noch bestimmte Anforderungen, die man bekommt, ausführt oder eben sagt: Nein, da ist jetzt ein Punkt erreicht, an dem mache ich nicht weiter mit. Da habe ich dann die Entscheidung getroffen und habe dem Konzern mitgeteilt, dass ich meinen Job aufgeben werde. Ich habe am gleichen Tag in den sozialen Medien recherchiert. Das war ganz witzig: In LinkedIn, Xing und wie sie alle heißen, habe ich eine Stelle gefunden und dann habe mich dann am nächsten Tag ins Auto gesetzt, bin eben mal kurz in den Schwarzwald gefahren und am gleichen Tag noch zurück. Ich habe da Gespräch geführt und da merkte man eigentlich sofort, das passt sehr gut, weil einfach die Märkte meiner alten Firma und der Haug Chemie doch sehr ähnlich sind und so ein spezielles Profil, das so genau auf eine Firma passt, in Deutschland auch schwer zu finden ist.

Johannes: Das heißt, Du hattest Haug Chemie eigentlich schon auf dem Schirm gehabt?

Andreas: Als Wettbewerber, ja. Die kannte ich gut und wusste auch so ein bisschen um die Marktposition und wusste, dass die Haug Chemie einen sehr guten Namen im Markt hat.

Johannes: Das heißt, an dem Tag, wo Du gesagt hast: „Ich lasse es!“, warst Du eigentlich im Kopf schon draußen, oder?

Andreas: Ich war im Kopf schon draußen, aber ich bin auch ein sehr vertragstreuer Mensch. Ja, ich war vom Kopf her einerseits draußen, aber andererseits hatte ich noch einen Vertrag, der über ein Jahr lief und wo ich dem Konzern angeboten habe, diesen Vertrag noch zu erfüllen, solange bis sie einen Nachfolger haben, weil ich nicht wollte, dass mein Baby, das ich über 22 Jahre lang aufgebaut habe, irgendwie Schaden nimmt bei der ganzen Aktion. Das war dann tatsächlich noch so, dass ich von Kündigung im September 2018 bis zu meinem Ausscheiden im August 2019 fast noch elf Monate in meinem alten Unternehmen verbracht habe, bis ein Nachfolger gefunden und eingearbeitet war. Das waren auch persönliche Erfahrungen, die mich sehr geprägt haben, denn gerade in den letzten drei, vier Monaten, als mein Nachfolger dann schon da war, das war auch eine schwere Zeit; einfach auch aus der Erkenntnis heraus, wie man so einen Übergang möglichst smooth gestaltet, also ohne einerseits dem Neuen – der natürlich andere Ideen, andere Gedanken hat, aus der BASF-Welt kam – irgendwo im Wege rumzustehen, andererseits aber auch Dinge zu übermitteln, die einfach wichtig waren, um das Unternehmen führen zu können. Aber da habe ich in den letzten Monaten gemerkt, dass es immer schwerer für mich wurde, aber ich bin auch stolz darauf, dass ich das irgendwie hinbekommen habe.

Johannes: Und dann hast Du elf Monate später hier angefangen?

Andreas: Ja, elf Monate später habe ich hier angefangen. Also für mich war erst mal wichtig: Ich wollte also nie mehr wieder Konzern machen. Für mich war es wichtig, dass ich in ein Umfeld komme, das von privaten Gesellschaftern getragen wird. Das war hier der Fall und ich habe hier Gesellschafter vorgefunden, die auch dieses Unternehmen weiter privat führen wollen, die auch fest in der Region verwurzelt sind, die das hier mit tiefer Überzeugung machen. Das war für mich die wichtigste Frage, die ich gestellt habe: Könnt ihr mir sicher garantieren, dass dieses Unternehmen nicht verkauft wird? Und das hat man mir damals garantiert. Ich auch sehr froh, diese Gesellschafter an der Seite zu haben.

Ich habe dann als Erstes viele Gespräche mit Mitarbeitern geführt. Also wir haben rund 100 Mitarbeiter, damals hatten wir noch 90, und habe mir wirklich die Mühe gemacht, mit jedem Mitarbeiter, von der Reinigungskraft bis hin zur Führungskraft drei- bis vierstündige Gespräche zu führen, um herauszufinden, was man bei diesem Unternehmen ändern muss, was man nach vorne bringen muss, was man auch gar nicht ändern darf. Eine Frage, die ich gestellt hatte, war die: Was darf ich als neuer Geschäftsführer auf gar keinen Fall ändern? Die Antwort kam fast immer aus der Pistole geschossen. Das Familiäre des Unternehmens. Das darfst Du nicht verändern. Da habe ich mir gedacht: Okay, habe ich verstanden, deswegen bin ich hier. Ich möchte was aufbauen, was mit einem anderen Miteinander zu tun hat, denn ich hatte eben die andere Seite kennengelernt und ich wollte hier den kompletten Gegenpol schaffen, also ein Miteinander, einen Zusammenhalt kreieren, der einzigartig ist.

Johannes: Ich würde gerne noch mal einmal zurück zu dem Punkt gehen, wo Du aus dem Ruhrpott hier runtergefahren bist. Das sind ja ein paar Kilometer und die Entscheidung zu treffen, hier anzufangen, bedeutet ja auch für Deine Familie, dass sie Dich dann auch ein paar Tage nicht sieht. Wie hat Deine Familie es mitgetragen?

Andreas: Die Familie war der entscheidende Punkt. Bevor ich so eine Entscheidung getroffen hätte, die für mich wirklich absolut unvorstellbar war, habe ich natürlich als erstes meine Frau gefragt und die Antwort, die meine Frau gegeben hat, war relativ einfach. Sie hat gesagt: „Mach das, was gut für Dich ist. Mir nützt es nichts, wenn Du bis abends zwar körperlich anwesend bist, aber mit dem Kopf in der Firma. Wenn ich Dich noch nicht mal mehr am Wochenende oder im Urlaub habe, dann bringt das nichts. Wir haben so eine Art nie ausgesprochene Vereinbarung getroffen. Wir haben auch aus dem, was mir in der Vergangenheit passiert ist, gelernt, sodass ich ganz klar gesagt habe: Wenn ich hier bin, bin ich hier. Das ist für mich auch ein Vorteil. Ich kann hier ja quasi rund um die Uhr meinen Job machen, aber wenn ich nach Hause komme, bin ich für die Familie da und kann sie bewusster erleben. Das ist tatsächlich so. Ich habe zwei Jungs zu Hause, der eine ist 21, der andere ist 17 Jahre alt, hat gerade Abitur gemacht. Das ist jetzt was anderes, wenn der Vater nach Hause kommt. Vorher war der immer da, immer greifbar. Jetzt sind zwei Jungs da, die sich, hoffe ich, immer noch freuen, wenn ich komme. Wir können auch viel gemeinsam machen. Das Gemeinsame findet überwiegend auf den Fußballplätzen statt. Die Familie hat einfach eine ganz andere Bedeutung wiedergewonnen. Die Bedeutung, die ich auch immer haben wollte. Ich bin ein Familienmensch, durch und durch. Ich brauche das. Ohne die Familie, ohne den Rückhalt dort könnte ich den Job hier nicht machen. Das ist einfach, denke ich, bei jedem guten Manager so: Wenn der Rückhalt nicht da ist, das Umfeld zu Hause nicht stimmt, dann kann man diese Jobs heutzutage nicht mehr machen. Für mich war das eine sehr gute Entscheidung, weil ich am Wochenende jetzt Vater und Ehemann bin. Ich bin da, bin zwar auch müde, wenn ich nach Hause komme, aber wenn ich dann wieder ausgeschlafen bin, dann funktioniert es auch wieder.

Johannes: Welche Eigenschaft Deiner Frau schätzt Du am meisten?

Andreas: Das ist die Ruhe. Die andere Eigenschaft ist: Ich habe das Glück, eine sehr intelligente Frau zu haben, mit der ich mich auch über viele Themen unterhalten kann. Das war mir immer sehr, sehr wichtig. Dass sie der Ruhepol in meinem Leben ist, das ist einfach so. Ich bin selber, auch wenn man es jetzt vielleicht gar nicht so merkt, eine Mischung aus Vater und Mutter. Mein Vater war der ruhige Teil, meine Mutter war der emotionale Teil und den emotionalen Teil, den muss ich immer so ein bisschen kontrollieren. Das habe ich im Laufe meines Lebens gelernt. Aber meine Frau ist da deutlich ruhiger und das hilft mir sehr.

Johannes: Wenn Du auf die nächsten fünf Jahre schaust. Was möchtest Du hier noch bewegen?

Andreas: Ich habe große Pläne für das Unternehmen. Ich habe auch den Mitarbeitern gesagt: Ihr habt hier eine einzigartige Chance, zu sehen, wie sich ein Unternehmen verändert. Ihr könnt daran mitwirken, ihr könnt daran teilhaben, ihr könnt das mitgestalten. Und das werdet ihr nicht nur sehen, indem sich das Miteinander verändern wird. Ihr habt das Glück hier an diesem Standort, zu sehen, wie sich dieses Unternehmen auch baulich verändern wird, weil die Gesellschafter sehr viel Geld investieren werden. Das ist das, was ich auf jeden Fall erreichen möchte. Ich habe mir lustigerweise dieses Ziel, ohne dass Du es kanntest, gesetzt. Ich habe gesagt: Bis 60 möchte ich dieses Unternehmen hier so modernisiert und umgebaut haben, dass jeder Mitarbeiter mit Stolz seine Familie hier reinführt und sagt: „Für dieses Unternehmen arbeite ich gerne, dafür darf ich arbeiten.“ Dass er sich zu 100 Prozent damit identifiziert.
Für mich sind die baulichen Ziele welche, die ich erreichen möchte. Ich möchte auch parallel dazu eine Kultur schaffen, basierend auf einem sehr stringenten Wertesystem, wo der Respekt von allen Mitarbeitern gelebt wird, wo ein Umfeld entsteht, wo sich jeder einbringen kann, weil ich denke, das ist etwas, was für uns als Unternehmen überlebenswichtig ist. Wenn ich Mitarbeiter gewinnen möchte, dann kann ich als Mittelständler nicht mit Preisen mithalten, die große Firmen aufrufen können. Das funktioniert nicht. Ich muss den Leuten hier etwas anderes bieten. Und was kann ich den Mitarbeitern bieten? Ich kann ihnen einfach nur ein Umfeld, ein Klima bieten, das anders ist. Und das möchte ich erreichen. Das ist natürlich ein Weg, den man erst mal gehen muss. Das ist nicht so, dass wir jetzt das Unternehmen sind, das besser ist als alle anderen. Aber wir arbeiten darauf hin. Das mag für den einen oder anderen sehr idealistisch klingen, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Dinge, an die ich glaube, sich auch realisieren lassen.

Johannes: Hattest Du auch schon mal den Gedanken gehabt, selbst ein Unternehmen zu gründen?

Andreas: Da steckt so viel drin. Zum einen mache ich das wirklich gerne, ich mache diesen Job mit Leidenschaft, aus Überzeugung. Meine feste Überzeugung ist, dass man den Umgang mit Menschen, wie man so ein Unternehmen führt, auch nicht erlernen kann. Das sind Dinge, die hat jemand anderes einem in die Wiege gelegt. Das ist ein Talent, das man bekommt. Man kann das weiter verfeinern, man kann viele Dinge dazulernen. Aber ein Grundtalent muss man haben.

Eine eigene Firma zu gründen, ist für den Bereich, in dem ich tätig bin, die Chemie, in Deutschland eigentlich keine Option mehr. Das ist eigentlich das Schlimme daran. Das war eine Hochzeit in den 60er, 70er, 80er Jahren, als sich Chemieunternehmen gegründet haben. Ich habe zwischenzeitlich tatsächlich mal dran gedacht, bin auch schon von ehemaligen Kollegen gebeten worden: „Na komm, Stumpe, mach was Eigenes! Wir kommen dann auch alle schön mit.“ Du brauchst das auf dem Feld: Zum einen ist es extrem schwierig. Ich habe im Bereich Chemie so viele Regularien zu beachten, so viele Gesetzgebungen, dass es eigentlich praktisch unmöglich ist, heutzutage eine Neugründung zu machen. Ich glaube, das letzte Unternehmen, das noch eine Genehmigung bekommen hat, ist in Deutschland vor zehn Jahren gegründet worden. Im chemischen Bereich sind das sonst alles alte Unternehmen. Meines Wissens ist es das Gefahrstoffzentrum in Kaiserslautern, das noch mal auf der grünen Wiese ein Unternehmen bauen konnte, wo man auch im Umgang mit der Chemie eigentlich alle Gesetze berücksichtigen konnte, und dazu kommt auch, dass das seitens der Gemeinde überhaupt gewünscht war, dass sich so ein Unternehmen dort ansiedelt. Ansonsten reden wir in Deutschland darüber, dass Chemie eigentlich nur an Standorten mit alten Genehmigungen noch möglich ist, so wie diesem oder eben in großen Chemieparks stattfindet, wo eben Zerschlagungen stattgefunden haben. Das beste Beispiel ist Bayer in Leverkusen und Bayer in Krefeld-Uerdingen bei Dormagen, wo sich Chemieparks gegründet haben, wo dann im Prinzip andere Firmen reinziehen, weil dieses alte Gelände, einmal ausgewiesen für die Chemie, noch in irgendeiner Form nutzbar ist. Also die Investition, die ich hätte tätigen müssen, das Risiko, was ich hätte gehen müssen, auch mit der Gefahr, dass unsere Behörden leider Gottes nicht die schnellsten sind, bei irgendwelchen Genehmigungen, war zu groß. Da wäre ich wahrscheinlich fünf Jahre im Genehmigungsprozess gewesen, bevor ich überhaupt hätte den ersten Euro verdienen können. Deswegen macht das heutzutage keiner mehr. Erst mal von null anzufangen in einem Markt, der ja eigentlich schon komplett belegt ist, ohne wirklich eine Innovation zu haben. Also ohne jetzt die geniale Idee zu haben, von der ich nicht wüsste, wo sie herkommen sollte, halte ich auch für extrem schwierig. Insofern habe ich damals eben eine Basis gesucht, wo im Prinzip die Grundvoraussetzungen da sind, wie ein Standort, wo man produzieren kann, Genehmigungen, die da sind und auf denen man etwas aufbauen kann, indem man neue Ideen einbringen kann.

Johannes: Wo Du auch ins Gestalten kommst?

Andreas: Wo ich auch ins Gestalten komme. Deswegen war für mich diese Konstellation so wichtig aus den privaten Gesellschaftern, die einerseits nicht in der Firma involviert sind und die andererseits einem Vertrauen entgegenbringen, dass man hier überhaupt gestalten darf. Das war mir wichtig. Und mit der Erfahrung, die ich und meine Kollegen hier mit einbringen können, aus vielen, vielen Jahren in diesem Umfeld, denke ich, wissen wir relativ genau, was der Markt braucht und wie wir uns da weiterentwickeln können. Deswegen mache ich das auch gerne und dann muss es nicht das Eigene sein.

Johannes: Wenn Du auf die letzten Jahre zurückblickst: Gibt es einen Fehler, wo Du sagst: Den habe ich gemacht und ich hätte nicht machen sollen?

Andreas: Viele Fehler. Ich glaube, das kann jeder Geschäftsführer nachvollziehen. Man muss so viele Entscheidungen treffen, im beruflichen Leben. Wenn von 100 Entscheidungen 95 gut sind, hat man einen verdammt guten Job gemacht. Heißt, mit anderen Worten: Da sind auch immer viele Fehler dabei, wo man sagt: Nee, das hätten wir anders machen müssen, da hätten wir anders reagieren müssen. Ein Fehler, den ich auf jeden Fall persönlich gemacht habe, ist, mich viel zu lange in dem alten Umfeld zu quälen, immer noch zu sagen: Ich halte durch. Aus einem Pflichtbewusstsein, auch einem Verantwortungsbewusstsein den Mitarbeitern gegenüber. Auch aus dem festen Willen, die Leute nicht im Stich zu lassen. Ich wusste bei meiner Entscheidung, dass sich viele auch im Stich gelassen fühlen. Mit Sicherheit haben einige das so empfunden, als ich dann gegangen bin. Aber da musste ich einfach meine eigene Person, meine Gesundheit vor anderen Dingen setzen. Viele haben das sicherlich bis heute nicht verstanden und auch mir nicht verziehen. Aber das war einfach ein Punkt, der sein musste. Es war ein Fehler, das viel zu lange zu machen.
Was ich auch als Geschäftsführer gelernt habe, ist, obwohl ich eigentlich zutiefst harmoniebedürftig bin, dass man auch manchmal harte Entscheidungen treffen muss. Das sind Dinge, wo ich am Anfang Fehler gemacht habe, weil ich diese nicht getroffen habe oder nicht rechtzeitig genug getroffen habe. Es gibt diese Beispiele ja immer wieder. Du hast ein Umfeld und Du hast einen Top-Mitarbeiter. Aber der ist, ich spreche mal geradeaus, ein Arsch, also ringsherum sinkt alles da nieder, weil man mit diesem Mitarbeiter einfach nicht umgehen kann, und man versucht es immer wieder, man redet mit ihm und vergisst darüber die Verantwortung gegenüber den anderen. Der Mann kann so gut sein, wie er will, aber wenn er andere nicht respektvoll behandelt, dann muss man da auch handeln. Das sind Fehler, die ich am Anfang gemacht habe. Vor allen Dingen auch im alten Unternehmen. Wir hatten sehr viele Handelsvertreter, die waren sehr mächtig, die waren sehr umsatzstark. Da gab es gute wie auch schlechte. Die Guten, die standen sehr loyal zum Unternehmen. Es gab aber auch welche, die dem Unternehmen komplett illoyal gegenüberstanden und auch die Eigenschaft hatten, Mitarbeiter runterputzen zu müssen, wenn sie meinten, dass das dann opportun war. Ich habe dort noch vor meiner Zeit als Geschäftsführer erlebt, dass die vor jedem Meeting gebibbert haben, weil sie nicht wussten, was dann da auf dem Meeting abgezogen wurde und an Politik gefahren wurde. Da habe ich mir dann damals geschworen, so was lässt Du nie in Deinem Leben in Deinem Unternehmen zu. Der Mann kann für das Unternehmen eine Million machen – und so stark waren die Handelsvertreter –, aber trotzdem so viel Schaden anrichten. Wenn Leute gehen, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen, weil sie sich auch gemobbt fühlen, musst Du handeln, auch wenn es das Unternehmen viel Geld kostet. Die Erfahrung habe ich dann mittlerweile gemacht, dass es auch manchmal notwendig sein kann, solche Entscheidungen zu treffen, die viel kosten, aber in Summe, auf die Jahre betrachtet, dem Unternehmen dann wieder Gewinn bringen, weil sich dadurch ein anderes Klima herausbildet.

Johannes: Also willst Du es nicht akzeptieren, auch wenn Du jetzt in den sauren Apfel beißen und teuer einkaufen musst, weil Du keine Lust hast, so ein Umfeld bei Dir reinzulassen?

Andreas: Ja, genau, das ist etwas, was damals, als ich hierhin hinkam, sehr klar kommuniziert habe. Ich habe gesagt, ich versuche mit allen hier den Weg zu gehen. Der wird für euch eine sehr starke Veränderung sein, viel Transformation, auch sehr viel von euch abverlangen, auch an Energie, die ihr zusätzlich einbringen müsst. Aber ich sage euch auch gleich meine Unarten, die ich habe. Unart Nummer eins: Keine schlechten Nachrichten vor 9:00. Warum? Ich bin kein Morgenmensch. Und bitte kommt mir nicht um 8:00 und steht in meinem Büro und sagt mir direkt: Das ist alles gestern schiefgelaufen. Macht das bitte abends und nicht morgens. Genauso eine Unart: Ich hasse E-Mails, die am Freitagnachmittag um 16:00 Uhr nur mit einem Ziel abgesetzt werden, dass der Geschäftsführer das ganze Wochenende darüber nachzudenken hat, was denn vielleicht schiefgelaufen ist. Wenn ihr ein Problem habt, kommt da bitte rechtzeitig zu mir und sagt es mir nicht erst freitagnachmittags um 16:00 Uhr, wenn ich auch mal irgendwann mal Wochenende habe. Und die dritte Unart ist: Wenn hier einer nicht mitzieht und gegen das Team arbeitet, dann gibt es ein Gespräch mit mir und vielleicht noch ein zweites Gespräch. Aber beim dritten werden wir uns darüber unterhalten, dass der Vertrag auch endet. Und da wiederum ist es mir egal, ob das mit einem Mitarbeiter verbunden ist, der meint, er hätte einen Status, der wäre jetzt hier so groß oder ob das ein einfacher Mitarbeiter ist. Das sind für alle die gleichen Spielregeln. Wir wollen hier zusammenarbeiten. Ich bin auch kein Freund von Hierarchien oder solchen Dingen. Ich liebe das Skandinavische. Man kommt in den Raum rein, merkt erst mal gar nicht, wer der Chef ist. Der Chef äußert sich dann am Ende und sagt: Okay, ich habe mir alles angehört, so machen wir es jetzt. Und dann trifft er die Entscheidung, aber ist nicht die dominierende Figur. Das ist das, was ich mag, was ich liebe. Und so möchte ich auch ein Unternehmen haben. Demzufolge hasse ich dann eben auch Personen, die sich so dominant in den Vordergrund stellen.

Johannes: Spannend, hattest Du das von Deinem skandinavischen Kollegen mit aufgenommen, der gesagt hat: Das Feuer in Deinen Augen ist erloschen?

Andreas: Ich war viel im Ausland, aber immer nur sporadisch, nicht dauerhaft. Und gerade Skandinavien liebe ich. Meine skandinavischen Kollegen habe ich immer geliebt wegen der Art, wie man mit Problemen umgeht, die etwas entspannter ist als hier in Deutschland und auch der Art, wie man Entscheidungen trifft. Davon konnte ich sehr viel lernen, wie ich in meinem Berufsleben überhaupt von anderen Menschen viele Dinge gelernt habe. Das ist auch so ein Punkt, wo man sich immer offenhalten muss, niemals dem Trugschluss erliegen, dass man, wenn man eine gewisse Berufserfahrung hat, schon alles weiß. Ganz im Gegenteil: Das ist das, was hier auch so spannend ist, dass ich jeden Tag mit neuen Dingen konfrontiert werde, auch mit Dingen, mit denen ich mich vorher nie beschäftigt habe und wo ich immer wieder Neues lernen kann.

Johannes: Eine letzte Frage habe ich. Hast Du einen Mentor gehabt?

Andreas: Ich habe mir nie Mentoren oder Vorbilder gesucht. Das war früher schon so, ich bin auch keinen Popgruppen hinterhergelaufen oder keinen Fußballspielern, die für mich ein Idol waren. Aber doch, ich habe einen Mentor gehabt und ich hatte einen Geschäftsführer bei meinem alten Unternehmen, der mir unglaublich viele Dinge beigebracht hat. Das war innerhalb des Unternehmens nicht unbedingt der beliebteste Geschäftsführer, aber ich bin mit ihm sehr gut klargekommen und habe so viel von ihm gelernt, von dem ich heute noch zehre, dass ich ihm bis heute dankbar bin und auch noch regelmäßig mit ihm in Kontakt stehe. Aber er war kein einfacher Geschäftsführer. Das war zum Beispiel so: Wenn man irgendwas hatte, man sammelte die Dinge, man ging mit den Unterlagen hin und je nachdem, welche Laune er hatte, besprach man den ersten und den zweiten Teil und den Rest nahm man wieder mit. Also das war wirklich kein ganz einfacher Mensch, aber er und ich sind immer sehr gut miteinander klargekommen. Also ich war derjenige, als einer der ganz wenigen, der einen sehr tollen Zugang zu ihm hatte und viel mit ihm sprechen konnte. Ich habe viele Dinge von ihm gelernt, die mich heute noch prägen, also auch als Geschäftsführer.
Der erste Spruch war: Wenn Du Liebe möchtest, darfst Du kein Geschäftsführer werden. Das ist ein Spruch, der einem immer wieder durchs Bewusstsein geht, denn man kann ja auch in eine Situation kommen, wo man gezwungen ist, Entscheidungen zu treffen, die vollkommen unpopulär, aber notwendig sind, um das Geschäft aufrechtzuerhalten. Das sind Entscheidungen, die kein Mensch treffen möchte. Also mit anderen Worten, wenn das Geschäft, aus welchem Grund auch immer, nach unten geht und ich über Entlassungen reden muss, dann sind das Dinge, die kein Mensch gerne tut und die einem nachhängen. Wo man sich aber immer sagen muss: man muss es tun, damit die Firma als Ganzes überlebt.

Der zweite Spruch war: Erwarte niemals Dank von Deinen Mitarbeitern. Man tut sehr viel und vielleicht auch vieles im Hintergrund, was die Mitarbeiter gar nicht so mitbekommen. Ein Kritikgespräch, auch ein sehr hartes, zielt nicht unbedingt darauf ab, den Mitarbeiter irgendwie zu demotivieren. Wenn ich solche Gespräche führen muss, dann mache ich das, um einen Mitarbeiter nach vorne zu bringen. Ich möchte irgendwas klar machen. Es wird oft vergessen, dass solche Dinge eben auch dazu gehören und man tut was, man fördert Mitarbeiter, man bringt sie nach vorne, man mag sie eigentlich. Dann ist es umso enttäuschender, wenn man dann hintenrum entfährt, dass negativ über einen geredet wird, gerade bei einem Mitarbeiter, den man gefördert hat. Gerade bei jemandem, den man nach vorne gebracht hat. Das tut weh. Aber mit diesem Schmerz muss man als Geschäftsführer leben. Erwarte niemals Dank von deinen Mitarbeitern. Das ist so.

Andere schöne Beispiele, die mich bis heute begleiten, die ich auch von meinem Mentor gelernt habe: Er zog immer Vergleiche zu einer Fußballmannschaft, den ziehe ich heute auch unglaublich gerne. Also wenn ich bestimmte Dinge im Unternehmen transparent darstellen möchte, dann versuche ich das auch immer über den Fußball zu erklären, weil das ein wunderbares Beispiel ist, an dem man alles festmachen kann. Das fängt mit der Teamarbeit an, damit, dass jeder auf seiner Position spielt und der Torwart nicht plötzlich den Stürmer gibt und der Stürmer den Torwart und umgekehrt, dass auch ein Team Regeln braucht, dass ein Team eine Strategie braucht und einen Spielplan und einen Schiedsrichter braucht, der auch mal eingreift und noch mal klar macht: Das ist eine Regel, ob Du willst oder nicht. Das sind alles wichtige Dinge und das kann man wunderbar vergleichen, das passt eigentlich immer. Also egal welches Beispiel man hat, was mal nicht so gut gelaufen ist oder was auch gut gelaufen ist: In der Firma kann man immer alles mit diesem Fußballmannschaft-Beispiel erklären.

Johannes: Das kommt bei mir nicht in Frage, weil ich Fußball ein absoluter Laie bin. Ich kenne nicht mal die Regeln.

Andreas: Aber es ist bei jedem Mannschaftssport, ob jetzt Eishockey, Handball, Fußball, was auch immer so: Man sieht, dass das ein Mannschaftssport ist und Mannschaftssport funktioniert nicht, wenn ein Team anfängt, auf dem Platz zu streiten. Dann weiß ich immer schon – ich habe selbst lange aktiv gespielt – dann kannst Du als gegnerische Mannschaft den Gewinn schon abhaken. Die sind jetzt so mit sich selbst beschäftigt, das wird nichts mehr. Und mit dem Unternehmen ist es genauso. Wenn ein Unternehmen sich nur mit sich selbst beschäftigt, möglicherweise auch noch im Streit, und keine klare Linie hat, wird es auch niemals erfolgreich sein.

Johannes: Vielen Dank!

Andreas: Herzlich gerne!

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